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Gefahrstoffen
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Gefahrstoffe 17.04.2023 zurück

Beschaffung von Gefahrstoffen - Strukturiertes Verfahren

Beitrag von:
Dr. Maximiliane Frölich

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  • Fachverantwortung Gefahrstoffe
  • Promovierte Chemikerin
  • Sicherheitsingenieurin
  • Brandschutzbeauftragte

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In diesem Beitrag erfahren Sie welche Vorteile ein strukturiertes Verfahren mit sich bringt und wie auch Ihr Unternehmen davon profitieren kann.

Die Umsetzung der Gefahrstoffverordnung stellt auch heute noch viele Unternehmen vor eine große Herausforderung. Das beginnt schon bei der Beschaffung. Strukturierte Verfahren können helfen, die Anforderungen im Betrieb umzusetzen, Rechtskonformität zu schaffen und den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen zu gewährleisten.

Viele Arbeitgeber stellen sich die Frage, wie sich die Vorgaben der Gefahrstoffverordnung in den täglichen Betrieb implementieren lassen. Speziell die Beschaffung von Gefahrstoffen spielt eine wichtige Rolle im Arbeitsschutz und kann bereits im Vorhinein eine zukunftsentscheidende Rolle spielen, um die Rechtskonformität im Umgang mit Gefahrstoffen zu ermöglichen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, zunächst einen detaillierten Blick in die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) zu werfen. Ziel der GefStoffV ist es unter anderem nach § 1 Abs. 1 Menschen und die Umwelt vor stoffbedingten Schädigungen zu schützen. Dies geschieht durch

  1. Regelungen zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung gefährlicher Stoffe und Gemische
  2. Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie anderer Personen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen
  3. Beschränkungen für das Herstellen und Verwenden bestimmter gefährlicher Stoffe, Gemische und Erzeugnisse

Die technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) helfen bei der Konkretisierung der Gefahrstoffverordnung und enthalten ebenfalls Regelungen aus konkreten EG-Vorschriften, welche dadurch in nationales Recht umgesetzt werden. Der Arbeitgeber hat gemäß § 8 Abs. 1 GefStoffV die für ihn zutreffenden TRGS bei der Festlegung der erforderlichen Schutzmaßnahmen zu beachten.

Werden jedoch anderweitige, trotzdem aber gleichwertige Schutzmaßnahmen getroffen, muss die entsprechende TRGS nicht beachtet werden. Die Dokumentation dieser Gleichwertigkeit ist in der Gefährdungsbeurteilung festzuhalten.

Anforderungen rechtskonform umsetzen

Durch ein strukturiertes Gefahrstoff-Freigabeverfahren ist es möglich, rechtliche Anforderungen zu erfüllen, Risiken zu minimieren, Kosten zu reduzieren und zeiteffizient zu arbeiten. In der GefStoffV gibt es keine konkrete Forderung nach einem „Gefahrstoff- Freigabeprozess“, was die Einführung des Prozesses in Unternehmen leider auch heute noch erschwert.

Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass gemäß § 7 Abs. 1 GefStoffV der Arbeitgeber verpflichtet ist, bereits vor Aufnahme der Tätigkeiten mit Gefahrstoffen eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Ebenso ist er verpflichtet, gemäß § 6 Abs. 1 GefStoffV vorrangig eine Substitutionsprüfung durchzuführen. Durch das Freigabeverfahren können bereits im Bestellprozess ein großer Teil der Anforderungen der Gefahrstoffverordnung erfüllt, Gefahren erkannt und verhindert werden. Des Weiteren ist es möglich, durch den Freigabeprozess und die somit notwendige Überprüfung der Gefahrstoffe Veränderungen der Rechtslage zu erkennen und in der Praxis anzuwenden.

Ein praxisnahes und sehr aktuelles Beispiel ist die Verwendung von Diisocyanaten in Klebstoffen, PU-Schäumen oder Lacken. Nach Inkrafttreten der REACH-Verordnung (EG) mit der Verordnung (EU) 2020/1149 am 24. August 2020, dürfen Diisocyanate nach dem 24. August 2023 nur noch unter bestimmten Bedingungen verwendet werden. Die entsprechende TRGS 430 „Isocyanate-Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen“ wird dementsprechend vom Ausschuss für Gefahrstoffe angepasst. Findet eine regelmäßige Überprüfung der Sicherheitsdatenblätter im Unternehmen statt, und werden die Unternehmen bei der Freigabe von Gefahrstoffen direkt mit Änderungen konfrontiert, können Anpassungen durchgeführt und zukunftsorientiertes Arbeiten ermöglicht werden. Gerade in großen Unternehmen findet die Beschaffung von Gefahrstoffen häufig durch den Einkauf statt, der selten in direkten Kontakt mit den Gefahrstoffen kommt bzw. wenige bis keine Informationen über die Verwendung der Gefahrstoffe besitzt. Die Bestellungen werden meist von unterschiedlichen Abteilungen getätigt und an den Verantwortlichen für die Beschaffung adressiert.

Aufgaben und Zuständigkeiten klar festlegen

Um jedoch die Verantwortung für den Arbeitsschutz leisten zu können, müssen Aufgaben und Zuständigkeiten klar festgelegt und eine geeignete Kommunikation der Beteiligten im Unternehmen sichergestellt sein. Je nach Unternehmensstruktur sind verschiedene Beteiligte in den Prozess einzubinden. In der Regel sollten folgende Personen am Beschaffungsprozess beteiligt sein: Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt, Abteilungsleitung des zu beschaffenden Gefahrstoffes, sowie der Beschaffer selbst.

Des Weiteren sind die Kriterien, die im Prozess enthalten sein sollten, zu definieren und mit Blick auf die Gefahrstoffverordnung anzupassen. Im Prozess sollten folgende Kriterien/Aufgaben enthalten sein:

  • Informationsbeschaffung (Sicherheitsdatenblatt und wenn notwendig weitere Informationen)  
  • Prüfung der Verfügbarkeit  
  • Prüfung und Klärung eines geeigneten Lagerortes (Mit Berücksichtigung der TRGS 510 „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern“)
  • Durchführung der Substitutionsprüfung (mit Berücksichtigung der TRGS 600 „Substitution“)  
  • Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und anschließende Festlegung der Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der Arbeitsumgebung und des Arbeitsprozesses  
  • Freigabe des Gefahrstoffes und Auslösung der Bestellung

Einfaches Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe

Gerade in Klein- und Mittelbetrieben kann das EMKG (Einfaches Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe) verwendet werden, um die Gefährdungsbeurteilung beim Umgang mit Gefahrstoffen nach Gefahrstoffverordnung durchzuführen. Nach erfolgreicher Durchführung werden direkt passende Maßnahmen vorgeschlagen. Dies hilft, bereits vor dem Auslösen der Bestellung die Kosten sowie den Aufwand der Schutzmaßnahmen abzuschätzen. Der Anwender des EMKG benötigt keine tiefgehenden Vorkenntnisse im Gefahrstoffrecht. Mit Hilfe der Informationen aus dem Sicherheitsdatenblatt, sowie Informationen zur Anwendung der Gefahrstoffe ist es möglich, durch ein einfaches Tool (App/ Drehscheibe) eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Dabei ist es vonnöten, Informationen über den Arbeitsvorgang (Dauer pro Vorgang, Anzahl der Vorgänge, Dauer pro Vorgänge pro Arbeitsschicht), die Anwendungsmenge pro Arbeitsvorgang sowie die Gefährdungen durch Hautkontakt, das Einatmen sowie Brand und Explosion zu erhalten. Hier verdeutlicht sich erneut, wie wichtig eine strukturierte Kommunikation im Unternehmen ist. Der Anwender des EMKG benötigt die Informationen zur Anwendung der Gefahrstoffe von dem späteren Anwender, um dieses erfolgreich durchführen zu können.

Dokumentation des Freigabeprozesses

Wurden alle oben genannten Aufgaben und Kriterien erfüllt, stellt sich häufig die Frage, wie alle wichtigen Informationen und die Beurteilung eines Stoffes gesammelt und vereint werden können. Je nach Unternehmensgröße gibt es auch hier unterschiedliche Vorgehensweisen, wie die Dokumentation des Freigabeprozesses gestaltet wird. Dies kann durch einen voll digitalisierten Prozess, aber auch durch ein Formular zur Freigabe von Gefahrstoffen erfolgen. Da nicht in jedem Unternehmen gleich viele Gefahrstoffe pro Jahr beschafft werden, gilt es, hier natürlich den Prozess entsprechend dem Unternehmen anzupassen. Wichtig ist jedoch, hierbei erneut darauf zu achten, dass alle am Prozess beteiligten Personen auf das Dokument zugreifen können und alle Kriterien ausgefüllt wurden, bevor die Freigabe im Anschluss erfolgt. Wurde der Gefahrstoff erfolgreich freigegeben und die Bestellung ausgelöst, muss man weitere Maßnahmen im Prozess implementieren und die Zuständigkeiten dafür definieren:

  • Aufnahme in das Gefahrstoffverzeichnis  
  • Auswahl und Bestellung der persönlichen Schutzausrüstung  
  • Erstellung der Betriebsanweisung  
  • Vorbereitung und Durchführung der Unterweisung

Verzeichnis der verwendeten Gefahrstoffe

Die Notwendigkeiten dieser Maßnahmen werden mit erneutem Blick auf die GefStoffV deutlich. So hat der Arbeitgeber gemäß § 6 Absatz 12 ein Verzeichnis der im Betrieb verwendeten Gefahrstoffe zu führen und nach erfolgreicher Beschaffung den Gefahrstoff darin aufzuführen. In diesem Verzeichnis wird auf das vorhandene Sicherheitsdatenblatt verwiesen und folgende Angaben müssen enthalten sein: Bezeichnung des Gefahrstoffes, Einstufung des Gefahrstoffes oder Angaben zu den gefährlichen Eigenschaften, Angaben zu den im Betrieb verwendeten Mengenbereichen sowie die Bezeichnung der Arbeitsbereiche, in denen Beschäftigte dem Gefahrstoff ausgesetzt sein können.

Individuelle Schutzmaßnahmen

Können die Gefährdungen der Gesundheit und der Sicherheit des Beschäftigten bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Gefährdungsbeurteilung ergab die Notwendigkeit einer individuellen Schutzmaßnahme, z. B. in Form einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA), so ist diese dem Mitarbeitenden bereits vor erstmaliger Benutzung des Gefahrstoffes bereitzustellen. Gemäß § 7 Absatz 6 hat der Arbeitgeber des Weiteren sicherzustellen, dass die PSA an einem dafür vorgesehenen Ort sachgerecht aufbewahrt, vor Gebrauch geprüft und nach Gebrauch gereinigt wird. Ebenso hat er sicherzustellen, dass defekte oder schadhafte PSA vor erneutem Gebrauch ausgetauscht oder erneuert wird.

Betriebsanweisung

Bevor der neu angeschaffte Gefahrstoff im Betrieb seine Anwendung finden kann, ist der Arbeitgeber gemäß GefStoffV § 14 verpflichtet, den Mitarbeitenden die Betriebsanweisung für den Gefahrstoff zur Verfügung zu stellen. Ebenso ist er verpflichtet, die Mitarbeitenden vor Aufnahme der Tätigkeit anhand der Betriebsanweisung über alle auftretenden Gefährdungen und Schutzmaßnahmen mündlich zu unterweisen. Die Beschäftigten sind ebenso darüber zu informieren, unter welchen Voraussetzungen sie Anspruch auf eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung haben.

Betriebsarzt einbinden

Wurde ein strukturiertes Gefahrstoff-Freigabeverfahren im Betrieb durchgeführt, wurden die Zuständigkeiten klar definiert und festgelegt und wurde die Kommunikation zwischen den einzelnen Verantwortlichen sichergestellt, kann bereits vor der Bestellung des Gefahrstoffs Rücksprache mit dem Betriebsarzt gehalten werden, und die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen können bereits in die Wege geleitet werden. Auch wenn es in der GefStoffV keine konkrete Forderung nach einem „Gefahrstoff-Freigabeprozess“ gibt, wird bei näherer Betrachtung deutlich, wie wichtig ein solcher Prozess für die Unternehmen ist. Durch ein strukturiertes und organisiertes Freigabeverfahren ist es bereits zum Zeitpunkt der Beschaffung möglich, die Anforderungen der GefStoffV zu erfüllen und somit einen sicheren Umgang mit Gefahrstoffen zu gewährleisten.

Dieser Beitrag wurde in Ausgabe 04/2023 des Praxismagazins Sicherheitsingenieur veröffentlicht. Darüber hinaus finden Sie ihn unter: https://www.sifa-sibe.de

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